MUSIK UND ZENSUR
Die Sache ist rasch erzählt: Afghanistan wird des Terrorismus wegen traktiert, mit mehrhundertfach besetzten Splitterbomben (u.a.), denn dem Bösen, wo immer es ist, muss man mit geboten ebenbürtiger Sprache begegnen und, weil man Werte hat, Werte zu verteidigen hat, für die man zu Recht Kreuzzüge führen darf, fürsorglich mit gelb-verpackter Güte, sprich: Essenspaketen voll von amerikanischem Fastfood, zuhauf in bewohnten und unbewohnten Gegenden abgeworfen, jedenfalls künden uns vor allem dies Bilder aus dem Hindukusch. Erwachsene, vor allem Kinder rennen danach, Kinder, hungernd, die am meisten unter den Wirren des Krieges zu leiden haben und, wie überall, am neugierigsten sind und wissen möchten, was da vom Himmel regnete... Doch Vorsicht! Auch die Splitterbomben, weit übers Land verteilt, sind in gelbe Päckchen verpackt und unterscheiden sich in ihrer Größe nur unwesentlich von denen damit Nahrung. Also los Kinder, los mit dem Lineal und messen, denn ein Zentimeter zu lang, ein halber zu breit könnte das Leben kosten! Denn gelbe Splitterbomben explodieren oft spät, nur ca. zu zwei Dritteln unmittelbar beim Abwurf und etwa zu einem Drittel danach, und dann im Umkreis von 500 m alles Leben zerstörend. Wann? Los also, und messt genau! Vergesst die Lineale nicht! Ganz bestimmt fielen sie auch vom Himmel! Die genauen Maße aber? Na, die kriegt ihr bestimmt selbst heraus! Den Bomben eine andere Farbe geben? Das käme zu teuer.Dies galt mir als Notiz zu meiner Komposition Gift/Gelb für elektrifiziertes Akkordeon, E-Bass und Zuspielung, eine Allegorie, die im Winter 2001/2002 für das Duo Interzone perceptible entstand. Mittelbar, d.h. binnenstrukturell, hatte er mit Gift/Gelb zu tun, und deshalb empfand ich es als wichtig, auf einen Umstand hinzuweisen, dem deutsche Zeitungen bzw. Zeitschriften, wenn überhaupt, nur Zeilen widmeten. Der geplante Abdruck im Programmheft zur deutschen Erstaufführung während des Festivals KopfHörer im badischen Bühl führte jedoch wegen seines angeblichen Antiamerikanismus beinahe zur Absetzung des Stückes durch den Leiter des Kulturamtes dort. So blank liegen also zurzeit schon die Nerven!? Und wie schnell man hier zu Lande bereit ist, der langen Geschichte von Zensur neue Beispiele hinzuzufügen, ist bekannt. 

[Aus: Randtext zu einem Berliner Symposium über politische Musik. (2002)]

 

SPONTAN ERLEBTE GEFÜHLE ZU BEWUßTEN EMOTIONEN ENTWICKELN
Unbestritten, notwendig ist Musik für die direkte Aktion und dafür, daß qualitativ Neues geschaffen werden kann, dafür steht nicht nur Eisler mit dem Solidaritätslied, dem „Roten Wedding
, dem Heimlichen Aufmarsch oder dem Sang der Gesänge
. Unentbehrlich jedoch für einen langen Atem in der herben politischen Auseinandersetzung um eine neue Gesellschaft ist aber auch Musik, die spontan erlebte Gefühle vertieft, daran mitwirkend, sie zu bewußten Emotionen zu entwickeln. Und möglich? - In meinen Kompositionen suche ich Ansätze zu Lösungen. Um vorweg klarzustellen: Musik vermag keine Gefühle hervorzubringen, die nicht schon in der Realität erlebt sind. Spontan gerät man in Wut, verfällt in Haß, liebt, wird wehmütig, depressiv, traurig, fühlt sich vergnügt, frisch, beschwingt ... Aber alles in einer Beziehung zu ... Und der Anlaß von Freude oder Empörung, Genugtuung oder Niedergeschlagenheit kann durchaus derselbe sein. Je nachdem, wer man ist, wie man denkt, was man gelernt hat zu fühlen. 
[Aus: "Für später: jetzt". Gedanken über eine Art zu komponieren. (1982)]

 

MUSIK UND UTOPIE
Der Komponist hat also anzusetzen an den vorhandenen Vorstellungswelten, an den Knäueln von Vorurteilen und verbogenen Gefühlen. Die Schriftstellerin Anna Seghers würde sagen, er müßte daran beteiligt sein, die Erstarrung zu lösen, in die die Menschen durch jahrelanges Einhämmern faschistischen oder faschistoiden Gedankenguts, später wirklichkeitsvernebelnder, imperialistischer Coca-Cola- und McDonalds-Kultur
geraten sind. Als verantwortlicher Komponist müßte er diesen Weg auch beschreiten, wenn dafür zunächst nur enge Rahmen gesetzt sind und Möglichkeiten - entsprechend der von oben gewollten Wende nach rückwärts - weiter eingeschränkt werden. Doch da das Komponieren und Musikmachen in einer dialektischen Beziehung zum politischen Entwicklungsprozeß steht, ist man nicht auf utopische Hoffnung angewiesen, sondern man kann die Verwirklichung der Hoffnung auf bessere Zeiten aktiv unterstützen. 
[Aus: "Für später: jetzt". Gedanken über eine Art zu komponieren. (1982)]

 

TECHNIK DES HÖRENS (1)
Brecht sagte einmal, es gebe eine
Schauspielkunst und eine Zuschauerkunst. Genauso gibt es die Kunst zu komponierenund die Kunst zuzuhören. Damit ist jedoch nicht nur angesprochen, daß man beim Hören von Musik eine geistige Tätigkeit verrichten muß, sondern sich dabei eine Technik des Hörens
aneignen muß, die mitzuentwickeln, auch ein Komponist gefordert ist. In verschiedenen Stücken habe ich mich dem Problem gestellt. Sehr früh mit Stücken, die das Publikum direkt einbezogen und provoziert haben, mitzumachen. 
[Aus: "Für später: jetzt". Gedanken über eine Art zu komponieren. (1982)]

 

GRENZEN DER MUSIK
Natürlich steckte hinter der aus der Praxis geborenen Entscheidung, nicht für den Konzertsaal zu schreiben, auch die Befürchtung, daß in der Musik nicht sonderlich viel Veränderungskraft stecken könnte, die das bürgerliche Publikum verändern könnte. Natürlich wäre es verwegen, der Musik umfassende Fähigkeiten zu Veränderungen überhaupt beizumessen. Musik ist nur ein Teil der Künste und nur ein Teil der philosophisch intellektuellen Mittel zu Veränderungen. Aber in diesem Sinne keineswegs unwichtig. Ich kann mir aber trotzdem durchaus Situationen vorstellen, in denen ich wieder ausschließlich Demonstrationen organisieren und politisch unmittelbar aktiv sein müßte. 

[Aus: '... rote Fäden ...' Gespräch mit Johannes Bultmann (1994)]

 

DARUM GEHT ES
Darum geht es:

    • um Musik, die sich mit der Welt auseinandersetzt, mit ihren Bedingungen, ihren akustischen Bedingungen - seien sie gesellschaftlich, also von innen, oktroyiert oder von außen, d. h. von einer anderen Kultur (oder Macht) aufgezwungen;
    • um Musik, die sich nicht mit den überkommenen Realien zufrieden gibt, wenn sie sich direkt oder unterschwellig gegen den Menschen richten, seine Empfindungen, seine Gesundheit;
    • um Musik, die sich einmischt, Stellung nimmt, Position bezieht, anstatt gesellschaftliche Übel und Mißstände zu übergehen bzw. sie zu verkleistern, zu verbrämen;
    • um Musik, die Probleme geradezu verschärft, ja toxisch auf sie wirkt, Musik, die auf Wunden zeigt, sie als notdürftig und damit gedrungenermaßen kurzfristig zu verdecken;
    • um Musik, die auf Widerstand baut und in ihm Denken und Emotion klärt, schärft, anstatt zu vernebeln und als Droge Illusionen von Harmonie und Glück zu schüren;
    • um Musik, die auf ihre spezifische Qualitäten setzt und vielschichtig (damit aber nicht notwendigerweise kompliziert) Nahrung für Geist und Seele bietet, also die kognitive und emotionale Wahrnehmung erweitert, als sie zu korrumpieren und auf ein Niveau des bloß animalischen Reagierens auf Gefühlsgüsse zu reduzieren;
    • um Komponisten, die den existierenden Problemen nicht erliegen, sondern sich in ihrer Arbeit mit ihnen befassen, sie nicht dämpfen, sondern benennen, Komponisten, die Anstoß erregen, stören, ärgern, schockieren, um Verkrustungen in individueller und gesellschaftlicher Hinsicht aufzubrechen, Panzerungen und Verstocktheiten zu lockern und Perspektiven zu zeichnen, freier atmen und wahrnehmen zu können;
    • um Komponisten, die als Resultat einer klaren Sicht der Dinge, eigene (alternative) Welten gegen den (meist) grauen Alltag erschaffen, kompositorische Systeme, die allegorisch auf eine Veränderung des Bestehenden zielen;
    • um Komponisten auch, die dies mit Verve, Lust, Phantasie und einer Heiterkeit tun, die positive Räume, andere Räume und Himmel" (Luigi Nono) erschließen. Und
    • um Hörer, die bereit sind, sich zu öffnen, neugierig;
    • um Hörer, die Störungen, Provokationen parieren mit Nachdenken und eigenem Engagement;
    • um Hörer, die - Schritt für Schritt - lernen, musikalische Zusammenhänge als Teil kognitiver und emotionaler Erkenntnis zu begreifen und zunehmend allergisch auf akustische (Umwelt-)Verpestung reagieren, sei es durch Lärm direkt, durch überall sich ausbreitende Hintergrundmusik oder subtiler - durch Musik selbst, die - wie auch immer geartet - dumpfen Gefühlen folgt, sie bestätigt, reizt oder aufputscht;
    • um Hörer, deren Grundsatz es ist, das Offene, Unsichere, Ungeklärte zu genießen, Hörer, die Fragen stellen in der Absicht, keine endgültigen Antworten zu erwarten. Konsequenz: Eine Musik, deren Material das ist, was um uns herum passiert, jetzt mit seiner Vergangenheit, mit seiner möglichen Zukunft, eine Musik, die gefärbt vom Ort, an dem sie entsteht, spezifisch für eine jeweils bestimmte Situation;
    • mit Komponisten, die das Unsichere als wichtiges, vielleicht sogar als das entscheidendste Prinzip begreifen und außer der eigenen inneren Welt auch das Außen kennen und mitwirken, eine breite Basis für helle Ohren, weite Augen und wache Sinne zu schaffen, und auf Fragen - als Antwort - neue Fragen auswerfen;
    • und mit Hörern, die ihrerseits fordern, daß neue Musik dies voraussetzt und von heute aus das Alte beleuchtet, das zu seiner Zeit einmal dasselbe zu leisten versuchte und daher - mehr oder weniger verborgen - gleich fragendem Geist entsprang.
      [Aus: Polyphonie von Welten (1999)]

 

MUSIK WECKT
Die Musik weckt die Zeit, sie weckt uns zum feinsten Genusse der Zeit, sie weckt. es bleibt dabei, daß sie (die Musik) zweideutigen Wesens ist. (Thomas Mann: Der Zauberberg) Gerade hier hat die Musik besonderen Stellenwert, besonderes Gewicht. Sie ist mehr-, vielschichtig, kommt deshalb als Gleichnis der komplexen Realität sehr nahe. Besitzt viele Seiten, vom Wahn bis zur Nüchternheit, von naiver Emotion bis zum kalkulierten Denken, von überbordener Komplexität bis zu strenger, bisweilen komplizierter Einfachheit und das gestattet ihr, Zusammenhänge zu verdeutlichen, die sonst langer Erklärungen bedürfen.

[Aus: Nicht Traum. Traum: (1999)]

 

TECHNIK DES HÖRENS (2)
Denn es gibt eine Vielzahl von Graden der Wahrnehmung, die unterschiedlichsten Blickwinkel. Genauso wie man in einer Galerie von einem Bild angesprochen und von ihm in wenigen Augenblicken in den Bann gezogen werden kann, näher und länger hinschaut, es immer genauer kennenlernt, d. h. in seinen Zusammenhängen begreifen lernt, es in die Welt hinein nimmt, genauso wie man zu einem Menschen in Bruchteilen von Sekunden eine bestimmte Haltung kriegt, die durch weitere Kontakte mit ihm bestätigt oder geändert wird - was eigentlich nichts anderes als Analyse, Zusammenhänge verstehen ist -, verhält es sich auch bei Musik. Bei einer ersten Perzeption reagiert man (fast ausschließlich) emotional,
aus dem Bauch, was viele - zum Kotzen! - für das Non-Plus-Ultra im Umgang mit Musik und Kunst halten, oder nimmt je nach Fähigkeit oder Bildung bereits dieses oder jenes analytisch, also verstehend wahr. Beim zweiten oder öfteren Hören - durchs Heranziehen von Noten, Hinweisen aus (Programm-)Texten zur Komposition z. B. - kann man in weitere Bereiche vorstoßen, das Dahinter der Musik ausloten und Verbindungen über das spezielle Werk hinaus herstellen zu anderen Kunstsparten, zum Leben. Denn jede ernsthafte, wahre Musik sollte das Angebot enthalten, sich (exzessiv) mit den Umständen des Lebens auseinandersetzen zu können. Vielleicht genügt es aber auch schon, wenn sie nur Auslöser
wäre, zu denken, um Gefilde zu entdecken, die man vorher nicht kannte, neue Gefilde als Kontrapunkt zu zu ändernden Vorhandenen. 
[Aus: Nicht Traum. Traum: (1999)]

 

MUSIK IST EIN DENKEN, DAS HÖRT
Wenn der surrealistische, belgische Maler Réné Magritte meint: Meine Malerei ist ein Denken, das sieht, sollte es musikbezogen heißen: Musik ist ein Denken, das hört oder zumindest: setzt ein Denken voraus, das hört.“ 

[Aus: Nicht Traum. Traum: (1999)]

 

 

 

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