MUSIKALISCHE KINDHEITSERINNERUNGEN
Ein Schlüsselerlebnis meiner Kindheit, Schlüsselerlebnisse - oder besser: nachhaltige Wirkungen von langer Dauer erzeugten zwei Werke der Musikgeschichte, nämlich die Matthäuspassion von Bach und die Zauberflöte von Mozart, und hier vor allem der Einleitungschor der Bachschen Passion mit seinem Schwelgen über Orgelpunkten und die Arien der Königin der Nacht und des Zarastro mit ihren extremen Höhen und Tiefen. Zunächst hörte ich diese Musik auf Schallplatten, etwas später - etwa zehnjährig - erlebte ich solche Ereignisse dann auch im Konzert und Theater, was mich - da sie selten waren - tief beeindruckte. Unmittelbar danach versuchte ich gleich, diese Eindrücke in eigenen kompositorischen Versuchen umzusetzen, heimlich natürlich, weil ich zwar Noten lesen konnte, es aber mit dem Aufschreiben von komplexeren Gebilden, die mir im Kopf herum spukten, haperte, und ich diese Unzulänglichkeit niemandem preisgeben wollte. Musik, Konzertmusik, Oper, lernte ich, aus dem oberschwäbischen Wilhelmsdorf stammend, hauptsächlich über das Radio, über Schallplatten kennen. Und aus dem Instrumentalunterricht, den ich etwa seit dem fünften Lebensjahr als Einzelunterricht genoss. Zunächst erhielt ich bei der Leiterin eines Mädcheninternats im Dorf Blockflötenunterricht, die wohl kaum als Musiklehrerin ausgebildet, aber dennoch nicht unmusikalisch war. Klavier fing ich bei meiner ersten Grundschullehrerin an. Alles aber war gleichwohl „Vorbereitung“, denn meine Wunschinstrumente in klanglicher Hinsicht waren eindeutig Oboe und Violoncello. Da es aber für diese Instrumente zu der Zeit im weiten Umkreis meines Heimatdorfes keine Lehrer gab, musste ich mich für ein anderes Instrument entscheiden. Die Wahl fiel auf Geige, später mit ca. 13, 14 Jahren kam die Orgel hinzu, die schließlich schnell zu meinem Hauptinstrument anvancierte. Klavier lief die ganze Zeit weiter, auch bei meinem Orgellehrer Paul Horn, Kantor an der Stadtkirche in Ravensburg.

[Aus: ...suchen nach..., in: Anfänge - Erinnerungen zeitgenössischer Komponistinnen und Komponisten an ihren frühen Instrumentalunterricht. Hg. v. Marion Saxer, Hofheim (Wolke Verlag) 2003]

 

KOMPOSITORISCHES SCHWEIGEN
Nicht
Schreibtischtäter
, vielmehr jedoch in der kulturpolitischen Praxis aktiv zu sein und der engagierten neuen Musik aus ihrer relativen Isolation zu verhelfen. Dieses Bewußtsein führte in den Jahren 1975 bis 1980 zu einem Extrem: meine ausschließliche politische Tätigkeit dieser Jahre implizierte kompositorisches Schweigen. 
[Aus: "Angefügt, nahtlos, ans Heute," (1991)]

 

POLITISCHES ENGAGEMENT
Zunehmend fühlte ich mich von der exklusiven Musikmache angewidert - sei es im Bereich Klassischer Musik gewesen oder in der Domäne der Avantgarde - überall wo man hinkam waren auf der Bühne oder im Publikum die gleichen Gesichter zu sehen, ob in Venedig, Köln, Darmstadt oder Amsterdam. Auch die Hochschule war mir zu eng. Ich wollte raus, wollte mehr mit
normalen Menschen zu tun haben, wollte, daß meine Musik, meine musikalischen Aktionen etwas bewirkten oder zumindest mithalfen, etwas politisch zu bewirken. Also raus! Die besondere Situation des Ruhrgebiets erhielt in solch einer Phase der Politisierung, des intensiven Studiums der marxistischen Theorie natürliche Bedeutung. Der Strukturwandel des Reviers, d. h. das Schließen der Kohlezechen in den 60er Jahren, die Stahlkrise in den 70ern brachten das Revier zum Brodeln. Hier waren die Beteiligung an Streiks und das Organisieren von Demos wichtiger als das Mitmischen in exklusiven Avantgarde-Zirkeln! Es war die heiße Zeit, die dann in nahezu ausschließlich politische Aktion mündete, mit Straßentheatergruppen zusammenarbeitend, mit ihnen Stücke und Lieder produzierend und sie auf Straßen, Plätzen und in Kneipen aufführend. In jüngster Zeit werden solche Erfahrungen für mein Komponieren wieder wichtig. Viele Dinge, die ich in den 70er Jahren mehr spontaneistisch oder oberflächlich provokativ eingesetzt hatte, baue ich jetzt als Strukturelemente mit in neu entstehende Kompositionen ein. Denn obwohl alle
Welt von einer neuen Ordnung faselt, hat sich im Grunde nichts prinzipiell geändert und schon gar nichts zum Besseren. 
[Aus: '... rote Fäden ...' Gespräch mit Johannes Bultmann (1994)]

 

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