FÜR MEINE KOMPOSITIONSÄSTHETIK VON GROßER BEDEUTUNG
Künstler stellten ihre Bilder (auf einem Flohmarkt in Ann Arbor, Michigan) aus, die mehrdimensional gemalt, konstruiert sind: Menschen vor, in und verwoben mit ihrer Umwelt, in merkwürdiger Abhängigkeit von ihr und sie doch gleichzeitig dominierend. Der Mensch in der Ambivalenz von Verstricktsein und Über-den-Dingen-Stehen. Ähnlich dieser Malerei finden sich Vielschichtigkeiten in meinen Werken, die unterschiedliche Annäherungen zulassen, unmittelbar emotionale und kognitive, die Musik ist also in verschiedenen Richtungen ausgebreitet, ausgedeutet, vernetzt. Nicht von ungefähr waren und sind Komponisten wie Gesualdo, Purcell, C. Ph. E. Bach, Schubert, der späte Liszt, Skrjabin, Satie, Cage, Nono sowie der russische Filmpionier Eisenstein mit seiner dynamischen Montagetechnik und Maler wie Hieronymus Bosch, Lichtenstein, Rauschenberg, Warhol und Dramatiker bzw. Dichter und Philosophen wie Shakespeare, Balzac, W. Blake, Majakowski, Eco und Foucault für meine Kompositionsästhetik von großer Bedeutung.

[Aus: "Angefügt, nahtlos, ans Heute." (1991)]

 

FLUXUS
Ich möchte festhalten, daß ganz wesentlich die Fluxus-Bewegung, deren Happenings und Aktionen, selbst Berichte davon, elementar für mich waren. Etwa Nitsch aus Wien mit seinem Sudeln in Blut rituell getöteter Tiere. Oder musikalische Aktionen von Cage (Theatre Pieces z. B.) bzw. von Giuseppe Chiari, der ganz reduzierte Musik schrieb, die ich jahrelang mit Vorliebe in Orgelkonzerte integrierte. Nicht nur deren anti-bürgerliche Haltung zählte, sondern auch die bestimmte Art von Skurrilität, verbunden mit einer Art positiver Provokation. 

[Aus: '... rote Fäden ...' Gespräch mit Johannes Bultmann (1994)]

 

MUSIK AUS DEN VERGANGENEN JAHRHUNDERTEN
Musik aus den vergangenen Jahrhunderten hat immer eine Rolle in meinem Leben gespielt. Meine erste Begegnung mit Musik überhaupt war - neben Schlagern bzw. U-Musik, die mich aber von Anfang an nicht sonderlich interessierten - eben alte Musik und deshalb war mir lange die Musik zum Beispiel von J. S. Bach oder Schubert sehr nah. Im Laufe des Studiums wurde für mich wichtig, die Musikgeschichte dialektisch-materialistisch zu untersuchen, d. h. Musik in ihrem historischen, sozialen Kontext zu verstehen und nicht bloß Werke aus den verschiedensten Phasen der Geschichte x-beliebig aneinanderzureihen und oberflächlich anekdotisch zu „analysieren“ und bestimmten Abschnitten im Leben eines Komponisten zuzuordnen, so wie es auf dem Gymnasium oder auch an der Hochschule vorwiegend passierte. Die inhaltliche Ausprägung bestimmter philosophischer Ideen und politischer Vorgänge in der Musik der verschiedenen Epochen interessierte mich besonders, um zu erfahren, daß es „rote Fäden“ in der Musikgeschichte gibt, die zunächst im Verborgenen (unbewußt) geknüpft werden, um zum Mainstream zu werden und dann wieder zu versiegen: ich denke dabei z. B. an die Herausbildung bestimmter Formen autonomer Instrumentalmusik. Oder - verknüpft mit dem Aufblühen der Bourgeoisie - auch das Entstehen der Dur-Moll-Tonalität und ihre Entfaltung parallel zum Entstehen des Virtuosentums und der funktionalen Aufsplitterung der Musik. 

[Aus: '... rote Fäden ...' Gespräch mit Johannes Bultmann (1994)]

 

QUERVERBINDUNGEN
Querverbindungen ziehen sich durch viele meiner Kompositionen: strukturelle Grundlage etwa der Wirbelsäulenflöte stammt aus der Purcell-Oper King Arthur. Schuberts erstes Lied Gute Nacht aus der Winterreise verklammert in ... fürs Vaterland:... Zeiten der Kälte, der (politischen und sozialen) Bedrängung und der Bedrohung durch Krieg. Liszts pure Terzen aus seinem Spätwerk schleichen sich untergründig in das Akronym Den Müllfahrern von San Francisco ein und holen sie damit herab aus der sonderbar entrückten Sphäre religiös-sozialen Engagements. Satie, den ich erst in den 70er Jahren gründlicher kennenlernte, ist - wie vieles von Cage - immer wieder - oft mehr oder weniger kenntlich - präsent, inhaltliche Vorhaben verdeutlichend. Prinzipiell korrelieren diese Hinweise auf andere Komponisten und deren Werke immer mit einem speziellen kompositorischen Projekt und der Situation, in der ich mich jeweils befinde, also der unmittelbaren Gegenwart. 

[Aus: '... rote Fäden ...' Gespräch mit Johannes Bultmann (1994)]

 

LUIGI NONO/EDGAR VARÈSE
Nono'sche Methoden zu komponieren: Montage, Hinweise, Verweise und Zitate auf und von Komponisten und Dichtern der vergangenen Jahrhunderte, die Dialektik von Strenge und Freiheit, die gleichwohl ihre Wurzeln im Davor haben, die Flexibilität der Faktur, sind (noch) nicht stumpf, selbst wenn die Mittel von seinen klassisch geprägten Erfahrungen, seiner kulturellen (insbesondere venezianischen) Umgebung, seiner Generation und Herkunft auch, geprägt sind. Allerdings sind Methoden wie Ideen und Inhalte Nonoscher Musik, die, immer wieder auf die antike Mythologie bauend, Grundsätzliches, Allgemein-Menschliches aufgreifen und - angeregt von fremden Kulturen - wenigstens spüren lassen, daß es außer dem reichen Europa (mit seinen Armen) auch andere(s) gibt: weiterzudenken, weiterzuentwickeln und zu radikalisieren nicht mit Muskelspielen, effekthaschendem Äußern oder modischen Mätzchen, Hohn bzw. Sarkasmus etc., sondern durch Unterminieren verkrusteter, verfestigter Strukturen, in die wir auf allen gesellschaftlichen Ebenen gezwängt sind oder - schlimmer noch - die bereits unsere Hände und Gedanken lenken, als wäre das (Selbst-)Verbiegen, das (Selbst-)Verdrehen, das (Selbst-)Zensieren unsere ureigenste Sache. Wie Varèse hielt Nono den Klang für einen lebendigen Organismus - Varèse nannte ihn son organisé und maß ihm innewohnende Intelligenz zu - und legte großen Wert auf Räumlichkeit, indem er Musiker im Raum verteilt auftreten läßt, um gleichzeitig unter Einsatz von Elektronik, den Raum durchdringend, neue Dimensionen zu schaffen. Obwohl Varèse kompositorischen Wert auf von einander unabhängige Klangschichten legte, erzielen sie doch - was Intensität, Farben, Tonhöhen und insbesondere Rhythmus angeht - intern äußerst differenzierte Beziehungen. Nono arbeitet (noch) integraler, durchwirkt das gesamte Material in der Tradition Schoenbergs und Weberns und verleiht ihm zusätzlich eine historische Aura. Eine Gemeinsamkeit von Varèse und Nono, so unterschiedlich die einzelnen kompositorischen Ausprägungen selbst innerhalb des Werkes beider auch erscheinen mögen, nahm mich - fasziniert aus rationalen Erwägungen - in Bann: das Klar-Konstruierte und zugleich Offene der Form. 

[Aus: ...yes, No-no... (1997)]

 

JOHN CAGE
Cages Ansatz beflügelte die Phantasie, Abgestandenes, Verstaubtes im musikalischen Denken und Werk auszumisten und Musikern/Interpreten/Spielern wieder Eigenverantwortung zuzugestehen, um in seinen Kompositionen - nach Metzger - in der Konzeption der Versuchsanordnungen seiner Experimente anarchistisches Zusammenwirken zu erproben und bei weitestgehendem Heraushalten des kompositorischen Subjekts, größtmögliche Objektivierung des künstlerischen Urteils (Geschmacks) und maximale Freiheit der Interpreten zu erzielen. Zweifel sind angebracht. Den lange Zeit verfolgten Versuch, „absichtslos“, aus dem bloßen Zufall heraus und alle Arten von Klänge akzeptierend zu komponieren, hat Cage selbst zurückgenommen, indem er im Spätwerk verschiedentlich auf die Harmonik eigener Kompositionen aus den 40er Jahren zurückgreift und damit zusätzlich zur Akzeptierung des Subjekts als vorbestimmenden Faktor für die Festlegung der Ausgangskonstellationen eines - dann vom Zufall regierten - Kompositionsexperiments beibehält, sondern - ganz im Sinne der alten Meister - auch wieder auf die Definition des Klangsystems im Voraus Wert legt. Wogegen nichts einzuwenden ist, wenn es nicht verschleiert oder ideologisch verbrämt wird. Und ob die Bezeichnung „espressivo“ (darunter versteht Cage die Selbstverantwortung eines Musikers für seinen eigenen Klang/Ton, den er zu spielen hat) in 103 für Orchester mehr ist bzw. eine größere Freiheit darstellt als die Verantwortung der Interpreten von Kammermusik sonst, ist äußerst fraglich. Nun ja, es sind (bösartig gesagt) kleine, kurze Schritte der Freiheit im aufs 19. Jahrhundert fixierten Orchester, die das Drumherum, den Apparat/das System nicht antasten. Cage organisierte in vielen Kompositionen und Konzeptionen naturalistisch das „Jetzt“ (berühmtestes Beispiel 4:33), bestätigte damit den Trend der Gesellschaften der „1. Welt“ zur Seßhaftigkeit (denn wenn jeder seine eigene Musik schon um sich herum hat, kann er zuhause bleiben. Musik hören erübrigte sich, gleichso das noch Komponieren) und fügt sich mühelos in die Epoche der „Simulation“, wie der Architekt und Schriftsteller Paul Virilio in seinem Essay „Rasender Stillstand“ das ausgehende 20. Jahrhundert charakterisierte. Das musikalische Potential - allen provokatorischen Stachels beraubt, den die aufmüpfigen Stücke der 60er und 70er Jahre noch hatten und deren radikalen Realisationen Cage in seinen letzten Jahren oft nur widerwillig folgte - bleibt nicht fortschrittlich, sondern beginnt zu kreisen und genügt sich selbst. Der „Traum:“, die Utopie wird „eingeschreint“ und verkümmert. Dennoch bergen Cages Positionen gerade der 50er bis 70er Jahre Chance und Angebot, die Offenheit, Flexibilität zu nutzen und nutzbar zu machen.

[Aus: Nicht Traum. Traum: (1999)]

 

 

top