Portrait

Gerhard Stäbler, 1949 im süddeutschen Wilhelmsdorf bei Ravensburg geboren, zählt zu den profiliertesten Komponisten seiner Generation. Er studierte Komposition (bei Nicolaus A. Huber) und Orgel (bei Gerd Zacher) in Detmold und Essen und lebt seither als freischaffender Komponist im Ruhrgebiet, seit 2011 im Rheinland. Sein umfangreiches Œuvre umfasst Kompositionen für das Musik- und Tanztheater, für großes symphonisches Orchester und Ensembles, Vokalmusik aller Gattungen, Kammermusik, Solo-Instrumentalwerke, elektronische Musik und Performances.

Stäblers Musik verlässt vielfach den Rahmen des Üblichen, indem er Elemente in seine Kompositionen einbezieht, die gewohnte Aufführungssituationen durchbrechen: Sei es durch Gesten oder Bewegungen im Raum, Licht- und Duftgestaltung, Arbeit mit alltäglichen Requisiten oder aktives Einbeziehen des Publikums. Immer kommt es ihm darauf an, den Geist anzuregen, Ohren und andere Sinne für neue, unerwartete Wahrnehmungs- und Denkmuster zu sensibilisieren. Hierher rührt auch Stäblers Vorliebe für das Ineinandergreifen von sorgfältig ausgefeilter Komposition und verantwortlicher Gestaltung durch die Interpreten – denen zum Beispiel die Wahl des Tonmaterials, der Klangerzeuger oder gegenseitige (Re-)Aktionen in einem vorgeformten Ereignisrahmen übertragen werden können.

Als Komponist und Lehrer knüpfte er bereits seit den 1980er-Jahren weltweite Beziehungen zu bedeutenden Institutionen und Ensembles in vielen Ländern Europas, Amerikas und Asiens. Neben seiner künstlerischen Tätigkeit engagierte er sich auch politisch sowie als Kurator und Organisator spartenübergreifender Projekte. So beschäftigte er sich als einer der ersten mit der Erschließung industrieller Räume für die zeitgenössische Kunst. Er initiierte die Gründung der Gesellschaft für Neue Musik Ruhr (GNMR) sowie zusammen mit den Komponisten Johannes Kalitzke, Nicolaus A. Huber und dem Pianisten Bernhard Wambach die MusikFabrik NRW. Er konzipierte die AKTIVE MUSIK Festivals  und war im Jahr 1995 künstlerischer Leiter der Weltmusiktage der Internationalen Gesellschaft für Neue Musik im Ruhrgebiet. Immer wieder widmet er sich großen musikalischen Projekten im öffentlichen Raum – wie zum Beispiel während der RuhrWorks 1989 in New York, las jornadas de arte contemporanea 1993 in Porto (Portugal), 1997 und 1999 im Rahmen der Internationalen Bauausstellung im Ruhrgebiet, 2008 im Landschaftspark Duisburg oder 2010 im Auftrag des Goethe Instituts der Ukraine mit dem Projekt STEINE im Zentrum Kiews. Die Thematik der Flüchtlingspolitik griff Stäbler im Tanztheater … auf dem Weg. Eine Entdeckungsreise auf, das mit dem Projektpreis Kinder- und Jugendkulturland NRW 2015 ausgezeichnet wurde, sowie 2016 im Projekt THE RAFT - DAS FLOSS nach dem Roman Die Ästhetik des Widerstands von Peter Weiss.

Kompositionen

Eine kontinuierliche Reihe von Kompositionsaufträgen (darunter Wittener Tage für neue Kammermusik, Donaueschinger Musiktage, Musica Viva des Bayerischen Rundfunks, Festival Mouvement des Saarländischen Rundfunks und der Kunststiftung NRW) und wiederholte Einladungen als Composer-in Residence (z.B. Three Two New York, Deutsche Oper am Rhein Düsseldorf-Duisburg, Sonic Fusion Festival Edinburgh, Borealis Festival Norwegen, Dias de musica electroacustica Portugal, Istanbuler Künstlerresidenz Galata der Kunststiftung NRW) dokumentieren Gerhard Stäblers Einfluss und Bedeutung in der zeitgenössischen Musikszene. Wichtige Ur- und Erstaufführungen fanden in den vergangenen Jahren u.a. im norwegischen Bergen (Borealis Festival und Bergen International Festival), in Bremen (The Drift, Tanztheater), Breslau (Weltmusiktage der IGNM), Dresden, Düsseldorf (Tonhalle), Tokio (Music Documents 13), Karlsruhe (Festival ZeitGenuss, ZKM-Festival Piano plus), Frankfurt (hr-Sinfonieorchester), Kiew, Mülheim an der Ruhr (Festival Utopie jetzt!), Ulm (u.a. das Musiktheater Erlöst Albert E.) sowie an der Norske Opera Oslo (Jugendoper Simon) und am Mainfranken Theater Würzburg (Musiktheater Letzte Dinge nach Paul Auster, The Colour nach HP Lovecraft und das Konzert für Orchester Ausgewilderte Farben) statt. 2019 gab es gleich zwei Uraufführungen für Stäbler im Rahmen des Festivals Acht Brücken | Musik für Köln: HÖR·FLECKEN – Uchronische Augenblicke in der U-Bahn-Station Heumarkt Köln sowie die im Auftrag des WDR entstandene Orchester-Fassung von Den Müllfahrern von San FranciscoZum 70. Geburtstag des Komponisten fanden große Portraitkonzerte in Seoul, Busan, Stuttgart, Köln und Duisburg statt. Dafür entstanden im Auftrag der Tonhalle Düsseldorf das Ensemblewerk GAME – Ausschweifendes ... und im Auftrag der Kunststiftung NRW das Streichquartett - - ] erzählen ... In der Pandemie- Saison 2020/21 schrieb Stäbler zahlreiche Kompositionen, darunter zwei Orchester-/Ensemblewerke zum Jubiläumsjahr BTHVN2020 sowie das Vokalwerk all is to be dared für das Projekt #HighTech = HighHumanism an der Musikhochschule Dresden mit dem Vokalensemble AuditivVokal. 2022 kam im Rahmen der Muziek Biennale Niederrhein das Ensemblewerk TAUBES SCHWARZ als Auftragswerk der Kunststiftung NRW zur Uraufführung. Außerdem gab es Sendungen im RBB, Radio Belgrad, NDR, DLF, SWR und Projekte in Dresden, Korea und beim Festival Contraste (Lviv, Ukraine). 2023 erlebten die fünf CELAN-GESÄNGE sowie die konzertfüllende Komposition MAGISCHE SPIELE für vier Klaviere ihre Premieren in Trier.

Das Streichquartett SICH·VERSCHREIBEN mit Schreibmaschine und Publikum, ein Auftragswerk der Kunststiftung NRW, wurde im Juni 2025 vom Minguet Quartett in der Kunsthalle Düsseldorf uraufgeführt. Nach der erfolgreichen Premiere des PROLOG für Ensemble (aus: SALZ) in Hallstatt im Rahmen der Kulturhauptstadt 2024/Salzkammergut wird die abendfüllende Oper SALZ (nach Peter Handkes Erzählung Kali) im Herbst 2026 am Landestheater Linz (Österreich) uraufgeführt und in Folgeaufführungen in Bozen und Trient (Italien) präsentiert werden. 

Zusammenarbeit mit Kunsu Shim im EarPort Duisburg

Von 2000 bis 2010 etablierte Gerhard Stäbler mit seinem Partner Kunsu Shim auf Einladung des Lehmbruck Museums in Duisburg das Zentrum für zeitgenössische Musik EarPort, wo die beiden Komponisten ihr originäres Konzept der PerformanceMusik und PerformanceKonzerte weiterentwickelten, die sich durch eine programmatisch genauestens komponierte Dramaturgie auszeichnen. In diesem Rahmen tritt Stäbler immer wieder auch als Performer und Rezitator in Erscheinung. Im Oktober 2015 konnte der EarPort als Ort experimenteller Begegnung zwischen den Künsten wiedereröffnet werden. Seitdem vertiefen Shim und Stäbler ihre langjährige Zusammenarbeit mit Institutionen der Rhein-Ruhr-Region – in Düsseldorf etwa mit der Kunsthalle, Tonhalle und vor allem dem Heinrich-Heine-Institut, das den Vorlass der beiden Komponisten als Teil des Rheinischen Musikarchivs betreut. Gleichzeitig erarbeiten sie für bedeutende nationale und internationale Institutionen zahlreiche interdisziplinäre Konzepte, so zum Beispiel die Projekte Trialog mit dem koreanischen Videokünstler Kyungwoo Chun (mit Veröffentlichung des zweisprachigen KunstMusikBuchs bild.klang.los), die Serie von PerformanceKonzerten an der Kunsthalle Düsseldorf und die Internationale Winterakademien für PerformanceMusik in Zusammenarbeit mit der koreanischen Komponistin Bohyun Kim. 2016 wurde das umfangreiche Programm Im Gegenüber in Kooperation mit der Diözese Würzburg umgesetzt. 2018 bis 2020 entwickelte Stäbler zusammen mit der Musikwissenschaftlerin Elisabeth von Leliwa das KlangKunstLabor als innovatives Musikkonzept für Menschen mit Demenz. In den Pandemie-Jahren 2020 und 2021 setzten sie zahlreiche große Projekte wie z.B. TIEFEN·SCHÄRFE im Rahmen der Muziek Biennale Niederrhein oder die Konzertserie Quadrophonien in Zusammenarbeit mit Komponisten und Komponistinnen aus der Ukraine, Großbritannien, den Niederlanden und Südkorea digital um. Eine intensive Zusammenarbeit verbindet Stäbler und Shim mit dem deutschen Klangkünstler Bernd Bleffert (OPENING Festival Trier), der englischen Performance-Künstlerin und Komponistin Alwynne Pritchard (Borealis Festival, Grieg Academy Bergen u.a.), dem Ensemble AuditivVokal Dresden unter Olaf Katzer sowie der österreichischen Cellistin Katharina Gross, den Schlagzeugern Arnold Marinissen, Moritz Koch und dem spanischen Flötisten Jaume Dabra Fa, die auch regelmäßig im EarPort Ensemble mitwirken. 

Internationale Tätigkeit

Portraitkonzerte, Performances, Gastvorlesungen und Workshops führten Stäbler und Shim in viele Länder Europas, nach Australien, Nord- und Südamerika, Israel, Japan und Korea. 2015 und 2018 unternahmen sie mit Unterstützung des Goethe Instituts USA-Tourneen mit Residencies an der University of North Texas (Denton), der Ragdale Foundation sowie PerformanceKonzerten und Lectures in Chicago (u.a. Chicago University, DePaul und Northwestern University), Minnepolis und Los Angeles. 2017 und 2022 arbeiteten sie als Gastprofessoren an der Universität der Kunst (EUM) in Montevideo/Uruguay. 2023 erhielten sie zum zweiten Mal die Einladung als Gastdozenten an das Conservatorium van Amsterdam für einen mehrtägigen Workshop mit Abschlusskonzert im Tanzhaus ICK Dans Amsterdam. 

Aus dem Aufenthalt als Artists-in-Residence an der Künstlerresidenz GALATA der Kunststiftung NRW in Istanbul 2022/23 haben sich enge künstlerische Beziehungen zum Museum ARTER, zu mehreren Istanbuler Universitäten und zum renommierten HEZARFEN Ensemble entwickelt. Eine kontinuierliche Arbeitsbeziehung verbindet Shim und Stäbler zudem mit dem Ensemble Grupo de Música Contemporânea de Lisboa, was 2023 und 2024 zu Einladungen beim Festival de Música Contemporânea de Lisboa und beim VI. Internationalen Kompositionswettbewerb GMCL/Jorge Peixinho, Gastspielreisen nach Portugal und im künstlerischen Austausch weiteren Konzerten in Weimar, auf den Azoren und in Duisburg (mit einer von MKW und Kunststiftung NRW geförderten DVD-Aufnahme) führte. 

Höhepunkte 2025 umfassen Workshops und Performance-Konzerte in Istanbul (ARTER Museum, Mimar Sinan Fine Arts University und Österreichisches Kulturforum), die Mitwirkung im Ausstellungsprojekt IM KINOSAAL der Kunsthalle Düsseldorf sowie im November eine Gastspielreise zu Konzerten und Workshops im Rahmen von TRIALOG in Seoul/Korea.   

Auszeichnungen und Wirkung

Zu einer langen und beeindruckenden Reihe von Auszeichnungen (u.a. Cornelius Cardew Memorial Prize 1982, Duisburger Musikpreis 2003) und Stipendien (u.a. Japan Foundation, Djerassi Foundation/Kalifornien, Land Niedersachsen, ZKM Karlsruhe) kam zuletzt 2024 der Deutsche Musikautorenpreis in der Kategorie „Komposition Percussion“ hinzu.

Die Liste der Veröffentlichungen über Stäblers Schaffen wurde 2015 durch Paul Attinellos Gerhard Stäbler. live / the opposite / daring – music, graphic, concept, event um einen bedeutenden Beitrag erweitert. Der Sammelband DAZWISCHEN. Die Zusammenarbeit der Komponisten Kunsu Shim und Gerhard Stäbler (herausgegeben 2022 von Elisabeth von Leliwa) enthält aktuelle wissenschaftliche Beiträge zu Shims Schaffen sowie eine CD mit Klavier- und Kammermusikwerken der beiden Komponisten. 2022 erschien die CD Piano Music by Gerhard Stäbler | Kunsu Shim mit dem Pianisten Martin Tchiba. 2023 konnte das gemeinsame Konzertprojekt Musik der (Un)Ruhe/Music of (Dis)Quiet, inspiriert vom Buch der Unruhe des portugiesischen Dichters Fernando Pessoa, auf DVD veröffentlicht werden. 

Aktuelle CD-Veröffentlichungen in der Edition EarPort umfassen die beiden Portrait-CDs DAY BY DAY und Papier · Wort · Tod · Spur sowie den Live-Mitschnitt des kooperativen Konzepts MAGISCHE SPIELE.   

Foto: © Hartmut Bühler

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