Im Trio Warnung mit Liebeslied (1986) beschäftigte ich mich – nach der frühen Erkrankung eines nahen Freundes – mit dem Thema AIDS, mit der schleichenden, erst unsichtbaren Vereinnahmung eines infizierten Körpers, mit der Chance, die in der Brechung des Tabus "Tod" steckt, mit der Chance auch, die das Persönliche, das, "wonach einer Liebender sich sehnt" (Sappho) gegen ach so mächtige Anforderungen öffentlicher Macht stellt. Dazu sammelte ich gesungene, gespielte Klang- und Melodiefetzen von Bettlern in Lissabon und kombinierte sie mit Klängen der Samba, die ursprünglich auf zwischen zerbrochenem Glas und Feuer getanzten Zeremonien afrikanischer Bantus zurückgehen. Die Instrumentation mit Akkordeon, Harfe und Glasschlagwerk ist darauf ausgerichtet wie auch das geheime Gerüst des Trios, das insbesondere Zahlenkombinationen aus 11, 13, 17, teilweise aus Vielfachen davon, bildet. Die Zusammensetzung der kompositorischen Elemente geschieht dabei in erster Linie aus inhaltlichen Erwägungen, denn von Anfang an geraten zwei Strukturen - eine elegisch-rhythmische und eine mechanisch-gleichgerichtete - zunächst unmerklich, dann immer auffälliger in Auseinandersetzung. Die mechanisch-gleichgerichtete, die alles einebnende, egalisierende dominiert schließlich, wird jedoch so schnell, dass sie sich wegen ihrer quasi unspielbaren Geschwindigkeit in ihr Gegenteil verkehrt und (auf Grund von Balggeräuschen des Akkordeons) zu atmen beginnt.
Gerhard Stäbler, aus: Heterotopien Zahlen (2001)