Gleich Vorgängen in einigen der skurrilen Maschinen von Jean Tinguely, versucht die Musik zur königlichen Oper Sünde. Fall. Beil. die toten Schädel in Bewegung zu setzen, d.h. mit Mitteln der Montage und der subkutanen Aufladung von semantischen Beziehungen, die durchgängige Story zu vernetzen, zu kontrapunktieren, zu konterkarieren, die handelnden, wandelnden Möbel gleichsam akustisch auszuleuchten. Dabei basiert die musikalische Struktur auf wenigen kurzen, prägnanten Begriffen, die den inhaltlichen Rahmen abstecken und umgesetzt in (Morse)-Rhythmik den musikalischen Verlauf bestimmen. Freilich nicht eindimensional, sondern als Keimzelle größerer struktureller Einheiten, die wiederum selbst zu einem semantischen Komplex werden und als "gesetzte" musikalische Struktur nach vorn bzw. zurück verweisen, also Zusammenhänge herstellen, wo auf den ersten Blick bzw. beim ersten Hinhören keine zu sein scheinen, oder die bisweilen auch negieren, was auf der Handlungsebene passiert und somit stören. Denn viele rhythmische-, desgleichen dynamische-, klangfarbliche- und Frequenz-Strukturen sind abgeleitet von der Umsetzung bestimmter Worte oder Wort-Ketten, die in Bezug oder Widerspruch zum unmittelbar im Gesang Ausgedrückten stehen.

Gerhard Stäbler, aus: Sünde. Fall. Beil. (1992)