113 Flügel stapeln sich auf dem Friedhof. Flügel! O intimste aller romantischen Instrumente! Ihrer Klänge bereits (fast) beraubt, schwingen sie sich noch einmal auf in sonore Himmel, eh sie – unwiderruflich der Unterwelt verschrieben – ganz in den Hades gleiten…
…mit ihren
Tasten, die – Federn gleich noch in Reih und Glied – immer wieder
von klanglichen Wundern der Vergangenheit künden, deren Kontakt (oder Kontaktlosigkeit?)
zur Gegenwart aber klar und deutlich vernehmbar ist…
…mit ihren Saiten, die – Kielen gleich bei manchen noch gespannt
– sich zu dehnen beginnen, dann zurückschnappen, die sich sperren
zu bersten, schließlich aber doch explodieren… oder erschlaffen,
wenn sie nicht schon herumhängen, um im Gewirr von Klängen zu wirbeln…
…mit ihrem Holz, das – gestapelt – unter der eigenen Last
zu krächzen anfängt, das – gefüllt und ausgegossen –
den Raum absteckt, der sie in der Blüte ihrer Jahre zu Musik beflügelte
und die Seele umwarb…
113 Flügel – geliebt, auch verwunschen, nicht selten gehaßt – zeigen alles: ihre Höhenflüge der vergangenen Jahrhunderte, ihr nacktes, (für das Ohr so) reiches Gedärm, ihr wahres Wesen: Kisten voll klanglicher Wollust, die einladen, sie zu besingen (und zu beschimpfen) oder selbst noch singen zu lassen, ihnen Worte (und Widerworte) zu widmen, auf ihnen zu tanzen und zu trommeln, sie zu füllen, zu schütteln, zu rütteln, mit ihnen spielend zu spielen, sie aber – nun als Sarg aus lichten Höhen der Kunst – auch selbst noch einmal der Lust frönen zu lassen, Klänge zu zaubern, die ihnen – bis auf wenige Ausnahmen der vergangenen Jahrzehnte – versagt blieben.
Gerhard Stäbler