Gerhard Stäbler

JC/NY für 3, 4, 5 oder 7 Spieler mit Manipulatoren und Publikum

(5. September 1992)

 

In eigenen Zeiten folgen drei, vier, fünf oder sieben Spieler den Zeilen oder Kombinationen von Zeilen der graphischen Partitur mit Klängen, die bei alltäglichen Tätigkeiten oder Vorgängen – nicht intendiert – abfallen, beispielsweise beim Sitzen und Lesen, beim Schreiben, Schlafen, zärtlichen Liebkosen, beim Kochen, Essen, Verdauen etc. Diese Tätigkeiten oder Vorgänge sind von den Spielern, die überall auf hervorgehobenem Niveau im Aufführungsraum verteilt sind, darzustellen und – soweit möglich – der graphischen Notation entsprechend zeitlich zu strukturieren.
Leise Vorgänge (wie Geräusche beim Essen oder Schreiben) oder vom Willen nicht steuerbare Abläufe kontinuierlicher bzw. zufälliger Art (wie das Atmen beim Schlafen oder die Magensäfte beim Verdauen) bedürfen direkter, einfacher Verstärkung oder eines bzw. mehrerer Manipulatoren, die die durch Kontaktmikrophone verstärkten Körperklänge der Struktur der Graphik gemäß über möglichst viele Lautsprecher in den Raum spielen. Dabei können die Klänge dieser Manipulatoren in ihrem Charakter zusätzlich live-elektronisch geschärft werden.
Spieler und Manipulatoren ordnen sich vor einer Aufführung bestimmte Zeilen oder Zeilenkombinationen der Partitur zu. Während die Dauern der Aktionen und ihre sich an der Graphik orientierende zeitliche Strukturierung den eigenen Entscheidungen der Spieler folgt aber dennoch auch Stille und nicht nur Pausen zulassen sollte, ist die Dynamik im einfachsten Fall Resultat der Aktionen. Bei Verstärkungen und elektronischen Manipulationen kann sie zwar bis an die Grenzen der Erträglichkeit gehen, sollte aber vorwiegend so gestaltet werden, dass alle Aktionen während einer Aufführung im Prinzip wahrnehmbar bleiben.
Das Publikum erhält die graphische Partitur auf der Einladung oder Eintrittskarte zur Aufführung als Stimulans für Manipulationen des Hörens, wobei ein Zuhörer – inspiriert von der Graphik – das Akustische, das auf ihn trifft, durch Bearbeitung (wie z.B. langsames und schnelles Trommeln aufs Ohr, Ab- und Aufdecken des Ohres durch die Ohrmuschel oder lockeres, ständig variiertes Auflegen einer Hand als vergrößerte Muschel aufs Ohr) seiner Ohren oder der seiner benachbarten Mithörer verändert.
Eine Version als Radioplay ist davon denkbar.

Gerhard Stäbler