É AUSREISSEN DAMIT / ES GR†N BLEIBT É – Unerhšrte GesŠnge, Welten spiegelnd 

fŸr Chor, Ensembles und Solisten (2015)

Auftragskomposition von ACHT BR†CKEN. MUSIK F†R K…LN; UA Kšln 2015

 

FŸr das Festival ãAcht BrŸcken – Musik fŸr Kšln 2015Ò schrieb Gerhard StŠbler eine, so das Auftragsmotto, ãHymne an ein nicht existierendes LandÒ, eine Komposition der Klage und Anklage, zugleich eine mit Zeichen der Hoffnung und Zuversicht.

 

Die ãUnerhšrten GesŠngeÒ, wie der Untertitel von ãÉ ausrei§en / damit es grŸn bleibtÉÒ fŸr Sopran, Violine, Chšre (inklusive Publikum), Schlagzeug, Orchestergruppen und GerŸche lautet, greifen textlich die brutalste Epoche der deutschen Geschichte auf, die Paul Celan (1920-1970) in seinem berŸhmten Gedicht ãTodesfugeÒ (1944/45) in schwŠrzeste, bitter-wahre Worte fasste. Und das Gedicht ist eine der Folien von StŠblers raumgreifender, auf mšglichst vielen Ebenen in der gegebenen Architektur des AuffŸhrungsraumes passierenden Komposition; allerdings und ganz bewusst kaum je verstŠndlich.

 

Ein weiterer Text - ihm ist auch der Titel entlehnt und fragmentarisch singt ihn der Chor sowie vollstŠndig gen Ende des StŸcks der Solosopran - stammt von dem (Ost-)Berliner Dramatiker und Lyriker Heiner MŸller (1929-1995), der ihn am 14. September 1985 in Mailand schrieb und der fŸr ein gemeinsam geplantes, aber nicht verwirklichtes Projekt mit Luigi Nono (1924-1990) gedacht war. Er ist nach dem Tod des venezianischen Komponisten unter dem Titel ãBruchstŸck fŸr Luigi NonoÒ veršffentlicht worden: ãDAS GRAS NOCH / M†SSEN WIR / AUSREISSEN DAMIT / ES GR†N BLEIBT // In Auschwitz / Die Nagelspur / Mann Ÿber Frau / †ber Kind // Die zerbrochnen GesŠnge / / Der Kirchenchor / Die Maschinengewehre // Gesang / Der zerschnittenen StimmbŠnder Marsyas / Gegen Apoll / Im Steinbruch der Všlker // Das Fleisch der Instrumente // Welt ohne Hammer und Nagel // Unerhšrt.Ò

 

Und als dritten Text integriert StŠbler in sein StŸck, das aus vielen dynamischen Extremwerten und ebenso schroffen wie zarten Clusterakzenten, ClusterbŠndern und GerŠuschflŠchen, zudem hart einschneidenden Rhythmen besteht, ein Haiku des japanischen Dichters Matsuo Bashō (1644-1694): ãDem Lauf der Sonne folgen die BlŸten der Malve selbst zur RegenzeitÒ. Diese Zeilen erklingen allein im Sopran, der sie in traumhafte, nun textfreie Koloraturen weitersingt. Die Vokalchšre in ãÉ ausrei§en, damit es grŸn bleibtÉÒ singen/sprechen bis auf wenige klartextliche Passagen ausschlie§lich Konsonanten aus Celans ãTodesfugeÒ, auch babylonisch irritierend einander Ÿberlagert – als Ausdruck der Sprachlosigkeit, des nicht Sagbaren, das aber unaufhšrlich gesagt werden muss, um angesichts der geschehenen und im kollektiven GedŠchtnis weiterhin gegenwŠrtigen sowie der derzeit stattfindenden GrŠuel auf der Welt vielleicht Ÿberhaupt irgendwann einmal an so etwas wie eine Hymne, an einen feierlichen Lobgesang denken zu kšnnen. Vorerst gilt es, das zu retten, was zu retten ist. Aber ist das noch oder je mšglich? Die wohlriechenden BlumendŸfte, mit denen Gerhard StŠbler seine Anti-Hymne beschlie§t, kšnnte man so deuten, mit HŠnden greifen lŠsst sich ein solch atmosphŠrischer Garten indes nicht. Gleichwohl: Wir sollten danach trachten und suchen.

 

© Stefan Fricke