Die Komposition – auf dem Seil, auf scharf gespanntem Seil – ist im Herbst 1988 vor-, während und nach einer Reise in die USA und nach Südkorea entstanden und inspiriert vom Gedicht Wir Seiltänzer des koreanischen Dichters Kim Chi-ha, der in seinem Land dauernder Verfolgung ausgesetzt war und nach dem Todesurteil von 1974 nur durch internationale Solidaritätsaktionen vor der Hinrichtung bewahrt werden konnte. Einzelne Teile der Komposition tragen als Motto Zitate aus dem Gedicht Kims – zur inneren Orientierung der Spieler für den musikalischen Akt auf dem Seil, um das Seil, das in unterschiedliche Richtung und auf verschiedenen Ebenen gespannt ist und sich – gleich Wellen – ausbreitet. Mal deutlich hörbar, mal verborgen: "Longitudinalwellen" wirken hauptsächlich im rhythmischen Bereich und stoßen in der Zeit nach vorn und zurück, nach vorn und zurück..., vor allem zu Beginn beim Flüstern deutlich zu hören am Krebsgang des punktierten Rhythmus... oder in der Mitte bei einer ständig zu- und abnehmenden Anzahl hämmernder Frequenzen.
Dagegen bildet sich in Transversalwellen (im Bereich der Tonhöhen) e/es als Seil heraus und gewinnt in immer höheren Regionen an Präsenz, bis es am Schluß im höchsten Bereich der Instrumente 'festmacht'. Das passiert nicht ohne Umwege, Abwege, denn wie alle Wellenarten unterliegen die musikalischen Abläufe auch Beugungen, Brechungen, Reflexionen, Dispersionen und Interferenzen... Die Musik schafft Gleichgewichte, indem sie das Drum-herum beleuchtet, austariert, nach außen, nach vorwärts, zum Ziel weist, das untergründig von Anfang an Zentrum war. Sie färbt sich je nach Stellung und Perspektive, erfordert große und kleine Balanceakte – vertikal und horizontal: Im Klanglichen von Unisono, Schwebung über Chromatik, Intervallik, Akkordik bis hin zu Multiphonem und Geräuschhaftem und ebenso im Rhythmischen etwa von Vibrato, Tremolo über Repetitionen zu strenger, unerbittlicher Rhythmisierung.

Gerhard Stäbler